Rückblick:
10. SMART CITY LOGISTIK Kongress
Sehr geehrte Damen und Herren,
Mit der zehnten Ausgabe des SMART CITY LOGISTIK Kongress in diesem Jahr können wir mit Fug und Recht behaupten, dass unser Herzensprojekt den Kinderschuhen entwachsen ist. Ähnlich verhält es sich mit den zentralen Themen des Kongresses: nachhaltigen Logistikkonzepten, ihren technischen Grundlagen und deren praktischer Integration in unsere Alltagswelt. Auch hier fand in der vergangenen Dekade eine enorme Entwicklung statt. Der SCL Kongress hat diesen Wandel stets aktiv begleitet und auch in seinen jährlichen Agenden und den Fahrzeugausstellungen reflektiert. Über diese Jahre sind die Herausforderungen an die Aktiven aus den verschiedenen Sektoren der Transport- und Logistikbranche, aus der Wissenschaft sowie aus Politik und Gesellschaft nicht eben geringer geworden. Zu Anfang stand die Begrenzung der technischen Möglichkeiten, z.B. bei Batterieladung und Reichweite, im Vordergrund. In diesen Bereichen wurden seither große Fortschritte erreicht. Heute sehen die begrenzenden Faktoren für Investitionen in umwelt- und sozialverträglichere Verkehrskonzepte im gewerblichen Verkehr anders aus. Beispielhaft zu nennen wären da Infrastrukturprobleme, fehlende Förderung oder der massive Kostendruck. Die Komplexität dieser Anforderungen an die Branche wurde auf dem diesjährigen Kongress immer wieder greifbar. Aber – und das macht mich persönlich so stolz auf unser Veranstaltungsformat – die gemeinsame Lösungssuche und das Diskutieren von innovativen Ideen und Best-Practice-Beispielen bildete während der beiden Kongresstage stets ein geeignetes Gegengewicht zur Vielschichtigkeit der aktuellen Problemlagen.
Mein Dank gilt daher allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern und natürlich besonders all Jenen, die den 10. SMART CITY LOGISTIK Kongress durch ihre inhaltlichen Beiträge bereichert haben. Danke, dass Sie Teil der Lösung sind!
Ihr Thomas Becker,
Geschäftsführer DAKO GmbH
Impressionen
Eröffnung und Grußworte
Traditionell wird der SMART CITY LOGISTIK Kongress von renommierten Persönlichkeiten aus Politik und höherer Verwaltung eröffnet. In diesem Jahr pausierten die beiden Eröffnungsredner sogar ihre Sommerurlaube, um ihre spezifische Sicht auf eine nachhaltige City-Logistik und den Kongress selbst an den Anfang des zweitägigen Programms zu stellen. Den Anfang machte Bernhard Stengele, seines Zeichens Thüringer Minister für Umwelt, Energie und Naturschutz. In seinem Grußwort betonte er die Relevanz von begreifendem Verständnis sowie dem Zusammentreffen und Diskutieren von Menschen mit dem Ziel realer Veränderung. Beides biete der Kongress, indem er unterschiedliche Gesellschaftsbereiche vernetze und mit der Fahrzeugausstellung vor Ort „den Wandel anfassbar“ mache. Im Anschluss verwies Dr. Thomas Nitzsche, Oberbürgermeister der Stadt Jena, auf das direkte Umfeld des Kongresses und das lokale Smart City Projekt. In diesem Zusammenhang betonte er seine Freude, dass der SMART CITY LOGISTIK Kongress diesen zukunftsentscheidenden Themenbereich seit nunmehr drei Jahren regelmäßig an den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Jena trage.
Session 1:
City-Logistik – Theorie
Der erste inhaltliche Block des Kongresses bettete die aktuelle City-Logistik (bzw. der Güterverkehr im Innenstadtbereich) zunächst in einen breiten, theoretischen Kontext ein. Dieser bildete einen ersten Problemaufriss und damit die Basis für den weiteren inhaltlichen Verlauf des Kongresses.
So widmete sich der Vortrag Dr. Harald Hempels (DAKO GmbH) einigen historischen Beispielen von logistischen Herausforderungen im Innenstadtbereich, um dann auf ganz aktuelle Probleme und Lösungsversuche im Bereich urbaner Transport- und Logistikinfrastrukturen zu sprechen zu kommen. Auch Vergleiche von aktuellen Lösungsansätzen aus verschiedenen Ländern illustrierten diese thematische Einführung.
Arnd Bernsmann vom Fraunhofer Institut für Urbanistik (DIfU) führte anschließend in ein zentrales Problemfeld urbaner Logistik ein: die Lärmbelastung durch Lieferfahrten. Anhand einer durch das DIfU durchgeführten wissenschaftlichen Untersuchung konnte er aufzeigen, wo wie und wann der Geräuschpegel durch den innerstädtischen Lieferverkehr besonders groß ist und welche Maßnahmen dagegen zukünftig helfen könnten. Die wichtigen Erkenntnisse der Studie werden im „Handbuch Geräuscharme Logistik“ zusammengefasst, dessen Erscheinen noch im Sommer 2024 angekündigt ist.
Ausgehend von der Gegenüberstellung allgemeiner Entwicklungstrends moderner Städte einerseits und im Logistikgewerbe andererseits, fokussierte Luc Kaiser (LNC LogisticNetwork Consultants GmbH) in seinem Vortrag die aktuellen räumlichen Problemlagen für Lagerung, Kommissionierung und Lade- bzw. Lieferung im urbanen Raum. Natürlich wurden auch verschiedene Lösungsansätze für die „Immobilienfrage“ vorgestellt und bewertet.
Session 2:
City-Logistik – Praxis
Nach einer gemeinsamen Stärkung und vielen interessanten Netzwerkgesprächen während der Mittagspause beschäftigte sich der zweite inhaltliche Block des ersten Kongresstages mit verschiedenen Praxisbeispielen, bei denen nachhaltige City-Logistik bereits aktiv umgesetzt wird.
Andreas Schwager von der Deutsche Post DHL Group stellte ein Projekt vor, bei dem in Berlin Pakettransporte im Kombinationsverkehr von Solarbooten und Lastenrädern abgewickelt werden. Gerade mit Blick auf den zunehmenden Druck auf die Wirtschaftsverkehre, CO₂-Emissionen drastisch zu reduzieren und in zufahrtsbeschränkten Wohngebietsbereichen zu agieren, habe diese Lösung sich als sehr tauglich erwiesen und soll schrittweise erweitert werden.
Aus Sicht eines Herstellers für elektrisch angetriebene Zustellfahrzeuge erläuterte Markus Graf (TYN-e GmbH) die Lage am Fahrzeugmarkt für City-Logistik. Da die Perioden staatlicher Förderung meist nur eine Erprobungsphase abdeckten, müssten auch nach dieser Projektzeit sinnvolle Konzepte vorliegen, wie mit unterschiedlichen Fahrzeugtypen (bspw. Lastenräder und Leichtelektrofahrzeuge) wirtschaftlich und ökologisch einträgliche Transporte möglich seien.
Bei der Stadtwirtschaft Weimar GmbH widmet sich Silvio Brückner einem Projekt zur Einführung von wasserstoffangetriebenen Bussen und der entsprechenden Werkstatt- und Tankinfrastruktur für den Linienverkehr. Über die Hürden und Erfolge bei dieser EU-geförderten Projektreihe sprach er in seinem Vortrag.
Eine gelungene Kooperation präsentierten Selim Ben Aissa (CityLog GmbH) und Sebastian Rzepka (Cordes & Graefe GmbH). Sie zeigten, dass sich selbst im Großhandel mit Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik ansehnliche Mengen an innerstädtischen Transporten über Lastenräder in Verbindung mit Mikrohubs abwickeln lassen (bis zu 50% der Waren). Die referierten Beispiele zeigten einmal mehr, dass es für die nachhaltige City Logistik nicht den einen Königsweg gibt, sondern, dass gerade Kombination und Kooperationsoffenheit den Unterschied machen können.
Session 3:
Fahrzeuge und Flotten
Der inhaltlichen Logik des Tages folgend, wurde in der zweiten Nachmittagssession der Weg vom allgemein theoretischen Rahmen, über Best-Practice-Beispiele hin zu den konkreten Fragen um Fahrzeuge und Flottenausstattung weiter beschritten. Auch hier zeigte sich, dass die Herausforderungen und der internationale Konkurrenzdruck im Kontext nachhaltiger Transport- und Logistikpraxis weiterhin wachsen, dass es aber durchaus europäische Antworten auf diese drängenden Fragen gibt.
Ein bundesgefördertes Forschungsprojekt stellte Dr. Jens Jerratsch von der TU Berlin mit „E-Haul“ vor. Dieses widmet sich dem neuralgischen Punkt der Ladung von E-LKW und stellt mit einer voll automatisierten Batteriewechselanlage eine Alternative und Ergänzung bisheriger Kabelladeinfrastrukturen vor. Die langsame und zeitunabhängige Ladung der Akkus gab er als den wesentlichen Vorteil diese Lademethode an.
Aus dem Blickwinkel einer, auf schrittweise Entwicklung emissionsfreier Transportlogistik ausgerichteten, Unternehmensberatung zeichnete Bruno Lukas (Green Logistsics Enabler) den Weg von der Bestands- und Bedarfsanalyse über die Konzeption und Fördermöglichkeiten, bis hin zur realen Umsetzung nachhaltiger Flotten- und Infrastrukturprojekte nach. Konkrete Beispiele aus seinem Kundenkreis mit den entsprechenden Roadmaps illustrierten das Vorgehen dabei.
In seiner Rolle als Manager Electromobility bei der Volvo Group Central Europe sprach Benjamin Schiebler davon, dass die technische Komponente bei der E-Mobilität nicht mehr das drängendste Problem sei, sondern die Komponente Zeit. Bei ausbleibenden Förderprogrammen und unzureichender, öffentlicher Ladeinfrastruktur seien zu wenige Unternehmen bereit, bzw. überhaupt in der Lage, auch in diese Technologien zu investieren und ihren Fuhrpark umzurüsten.
Wie umfangreich die Planungen, Entscheidungsprozesse und Testphasen in Bezug auf alternativ betriebene Fahrzeuge für eine deutschlandweit agierende Fahrzeugflotte sind, zeigte anschließend Benjamin Federmann von der MEWA Textil-Service SE & Co. Mit seiner Darstellung der langfristigen Projektierung und schrittweisen Umstellung bei MEWA verhalf er zu einem realistischen Einblick in die Anpassung größerer Unternehmen der Branche.
Keynote
Wie es einem Keynote-Redner gebührt, präsentierte Markus Olligschläger, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands für Eigenlogistik & Verlader e.V., seine Sicht auf einige der grundsätzlichen Themen des ersten Kongresstages. Dabei lenkte er seinen Blick vor allem auf kleinere Transportunternehmen, die an den aktuellen Umbrüchen besonders schwer zu tragen hätten. Damit die Aufbruchsstimmung bei der Erreichung eines ökologisch und sozial verträglichen gewerblichen Verkehrs nicht von einer Verweigerungshaltung abgelöst werde, brauche es zeitnah eine klare politische Linie und die Zusammenarbeit zwischen Fördergebern, Herstellern und Nutzern – so seine zentrale These. Aktuell fehlten klare Initiativen, um ein Denken im Sinne der Nachhaltigkeit wieder mit der wirtschaftlich tragfähigen Arbeit der Unternehmen zu verbinden.
Session 4:
Wissenschaft und Technologie
Der zweite Tag des SMART CITY LOGISTIK Kongresses stand ganz im Zeichen technischer Neuerungen und praxisrelevanter Forschung. Entsprechend kamen Anbieter innovativer Fahrzeuge, Komponenten und Dienstleistungen sowie Vertreter der Wissenschaft zu Wort. Neben dem Blick in die Zukunft stand auch die verständliche Vermittlung der theoretischen Grundlagen für das Funktionieren digitaler Lösungen in der Transportbranche auf der Agenda.
Robert Händel (OPES Solar Mobility GmbH) stellte eine neue Generation von Shingle-Matrix-Solarzellen vor. Diese Technologie sei vor allem für die Dachflächen von Trailern oder Bussen interessant und würde die Batterieladung ohne Beeinträchtigung der Fahrleistung ermöglichen – nicht zuletzt um Fahrern den unabhängigen Betrieb von elektronischen Geräten am Fahrzeug zu ermöglichen. Ihre Entwicklung und auch die zukünftige Produktion an einem Standort in Deutschland verdankt diese Technik den besonderen Anforderungen durch mechanische und umweltbedingte Einflüsse auf den Oberflächen von Fahrzeugen. Diese Bedürfnisse abbilden zu können und auch die Anfragen deutscher Automotive-Hersteller dazu schüfen eine spezifische Marktnische für die Produkte von OPES, so Händel.
Als Vertreter der thüringischen Dependenz des chinesischen Batterieherstellers CATL (Contemporary Amperex Technology GmbH) sprach Matthias Zentgraf auf dem Podium. Er vermittelte einen sehr guten Eindruck von den hohen Qualitätsansprüchen, die Hersteller von Batteriespeichern im Automotive-Bereich zu erfüllen haben. Bei Steigerung des technischen Anspruchs dieser Technik, sänken die Kosten für Li-Ionen-Batterien weiter. Die hohen Energieaufwände von 20-40 kWh pro 1 kWh Batteriekapazität decken zu können, setze man im Arnstädter Werk auf Solartechnologie, die auf den Dächern der Fertigungshallen montiert werde.
Eine Batteriewechsellösung aus dem Last-Mile-Kontext präsentierte Radek Janků (BattSwap Inc.). anhand des konkreten Beispiels eines, in mehreren europäischen Ländern agierenden, Lebensmittellieferservice. Gerade beim Einsatz kleinerer Lieferfahrzeuge könnten standardisierte Infrastrukturen für den Batteriewechsel sehr viel kosteneffizienter, flexibler und schneller als klassische „Ladesäulen“ für alle verfügbaren Fahrzeuge eingesetzt werden. Ein weiterer Vorteil sei die stärkere Unabhängigkeit von der aktuellen Netzkapazität.
Einblicke in die Fahrzeugentwicklung beim Institut Chemnitzer Maschinen- und Anlagenbau e.V. gewährte Jens Heinrich mit seinem Beitrag. Auf dem Gebiet der alternativen Antriebskonzepte plant, entwickelt und baut das Institut verschiedene Antriebsarten und Fahrzeugtypen zunächst für Testzwecke. Vor Ort stellte er konkret den batterieelektrisch angetriebenen „innvelo“ Lastenroller vor, der in kleinen Stückzahlen inzwischen auch serienmäßig hergestellt werden kann.
An der Technischen Universität Ilmenau hingegen arbeitet Prof. Dr. Pu Li mit seinem Team an der Umsetzung von autonom auf Gehsteigen fahrenden Lieferrobotern für den Einsatz im städtischen Kontext und als Stütze des lokalen Einzelhandels. Neben der Darstellung der Gesamtzielsetzung des staatlich geförderten Forschungskonsortiums „myLOG“ stellte Li vor allem die Erkenntnisse und Herausforderungen dar, die bei einem Feldversuch in Strausberg zutage traten. Gerade fehlende Begrenzungen und völlig unterschiedliche Terrains auf den Gehsteigen, seien eine große Herausforderung für das Navigieren jenseits der Fahrbahn.
Auf humorvolle, aber nicht weniger informative Weise stellte Prof. Dr. Boysen von der Friedrich-Schiller-Universität Jena zum Abschluss des Kongresses vor, wie uns ein Verständnis so genannter Ameisenalgorithmen dabei helfen kann, digitale Systeme zu entwickeln, die auf Basis Künstlicher Intelligenz eine Optimierung klassischer Tourenplanungsprobleme vorzunehmen. Das Modell sei zwar nicht das aktuell beste Verfahren für diese Aufgabe, schaffe aber ein gutes Verständnis für die Komplexität der Ansprüche an eine solche Technik.
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